Expertenempfehlung

Vorbemerkung

Dies ist eine gemeinsame Fachexpertenempfehlung der DGFIT.

Qualitätskriterien zur Erstellung:

A Gebietsqualifikation der Fachexperten

  • Eigene und umfangreiche Therapieerfahrung mit Interleukin-2

  • Studienbetreuer bzw. -leiter mit Interleukin-2

  • Wissenschaftliche Veröffentlichungen zu Immuntherapien mit Interleukin-2 in Fachzeitschriften (per review)

  • Aktive Teilnahme an Kongressen zu Immuntherapien

  • Fortbildungsnachweis auf dem Gebiet der Immuntherapie.


B Allgemeine Bewertung von Behandlungsmodalitäten durch DGFIT

Fachexperten

In die Bewertung fließen die Guidelines der American Cancer Society zur Beurteilung von "Outcome of Cancer Treatment" ein (J. Clin Oncol 1996). Verbessertes Überleben und Verbesserung der Lebensqualität sind zentrale Anliegen. Der Patient steht im Mittelpunkt der Bemühungen.

  • Vorliegen klinischer Studien, vorzugsweise prospektiv, randomisiert und kontrolliert, mit vorab definierter, angemessener Fragestellung, adäquater statistischer Auswertung. Studien müssen quantitativ und qualitativ nicht identisch wie Zulassungsstudien geplant sein. Studien ohne Kontrollgruppe werden akzeptiert, wenn sich (Nicht-/ Kontroll-) Behandlung z.B. aus ethischen Gründen verbietet oder nicht durchsetzbar ist. In diesem Fall werden die Punkte 2-5 besonders wichtig für die Beurteilung.

  • Empfehlung oder / und Durchführung der Behandlungsform an zahlreichen Behandlungszentren, insbesondere Universitätskliniken und Spezialambulanzen (Standardtherapie).

  • Bestätigung durch verschiedene Forschergruppen (z.B. in Publikationen).

  • Signifikante Besserung von Risiko / Benefit Verhältnis für Patienten

 

Historie

Interleukin-2 ist Vorreiter in der Tumorbehandlung mit Immunmodulatoren. In Deutschland wurde die Zulassung für das metastasierte Nierenzellkarzinom 1990 erteilt zur intravenösen Dauerapplikation von 18 x 106 IU pro m2 Körperoberfläche pro Tag. In den USA wurde etwas später Interleukin-2 zur Hochdosis Bolus Gabe zugelassen, wobei Tagesdosen von 150 x 106 IU IL-2 verteilt auf 3 Einzeldosen intravenös appliziert werden. Erstmals stand eine erwiesenermaßen effektive biologische Therapie zur Verfügung, die schlechte Prognose des metastasierten Nierenzellkarzinoms mit medianen Überlebenszeiten von etwa 7 Monaten zu verbessern - allerdings um den Preis einer hohen Toxizität. Intravenöse Therapien erfolgen im Krankenhaus mit speziellen Überwachungseinheiten. Für die Hochdosis Bolus Therapie sind 4% Todesrate an Therapie beschrieben, die Mehrzahl der Patienten verträgt diese Behandlung nicht. Modifikationen in der Applikationsform erwiesen sich als adäquates Mittel, die Toxizitäten bei erhaltener Effektivität zu kontrollieren. Europäische, insbesondere deutsche Arbeitsgruppen haben hier Pionierarbeit geleistet. In Teilen Europas ist die subkutane Gabe seit kurzem als Applikationsform zugelassen (Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Belgien, Irland, Luxemburg, Österreich, Spanien ).

Systemische subkutane Gabe

Die Therapie ist ambulant durchführbar und wirksam, wie in zahlreichen Studien belegt. Beispielhaft sei hier die prospektiv randomisierte 3-Arm Studie des National Cancer Institute genannt, hier ergeben sich für die subkutane Gabe vergleichbare Ansprechraten und Überleben wie bei Hochdosis Bolus Therapie. Günstig für die subkutane Applikation ist die erheblich niedrigere Dosis und die deutlich geringere Toxizität. Die subkutane Gabe ist in Europa in einer Reihe von Ländern zugelassene Applikationsform, seit September 2001 auch in Deutschland. In Deutschland war die subkutane Gabe lange vor der nun erfolgten Zulassung bereits die häufigste Art, Interleukin-2 zu applizieren. Sie stellt heute die Standardapplikationsform für Interleukin-2 dar. Die intravenöse Dauerapplikation erfordert etwa 36 x 106 IU IL-2 als Tagesdosis. Subkutane Schemata verwenden überwiegend geringere Dosierungen pro Tag. Sie sind besser verträglich und erzeugen weniger Komplikationen.

Die systemische subkutane Gabe nach den Kriterien 1-5 bewertet ist wirksam, hat eine weite Verbreitung, ist bestätigt durch verschiedene Forschergruppen, verbessert signifikant das Risiko zu Benefit Verhältnis der Patienten und hat eine nachvollziehbare Rationale.

Lokale Gabe

"Delivery of high local concentrations of IL-2 may more closely mirror the normal physiologic production of IL-2, which is normally produced at high concentration in a localized way"
( Lotze MT Cancer J Sci Am 2000; 6 (S1) S 58-S60)

Lokale Gaben in oder an den Tumor entsprechen dem physiologischen Wirken von Interleukin-2. Systemische Nebenwirkungen entstehen überwiegend dann, wenn Interleukin-2 im Gefäßsystem vorliegt, wo es physiologisch nicht vorhanden ist. Die Rationale dieser Anwendung findet ihre Betätigung in der guten Verträglichkeit lokaler Gabe, da keine intravaskulären Interleukin-2 Konzentrationen entstehen. Systemische Nebenwirkungen wie Fieber, Grippe-ähnliche Symptome fehlen weitgehend. Das Risiko zu Benefit Verhältnis ist sehr günstig. Der für intravenöse Gabe typische hohe IL-2 Verlust durch die Niere wird vermieden.
Lokale Applikationsverfahren von Interleukin-2 sind zahlreich publiziert und in ihrer guten Verträglichkeit und Wirksamkeit von verschiedenen Forschern bestätigt.
Lokale Applikationsverfahren für Interleukin-2 sind wenig attraktiv für Zulassungsverfahren da sie in ihrer Individualität bei hochselektionierten Patienten und oftmals bei seltenen Tumorerkrankungen eingesetzt werden. Sie sind typische Off-Label Therapien (siehe Erläuterung). Die bekannteste lokale Interleukin-2 Gabe ist die Aerosolgabe von Interleukin-2 in die Lungen von Patienten mit Lungenmetastasen.
Lokale Applikationsverfahren nach den Kriterien 1-5 bewertet sind wirksam, haben eine relativ weite Verbreitung, sind bestätigt durch verschiedene Forschergruppen, verbessern signifikant das Risiko zu Benefit Verhältnis der Patienten und haben eine nachvollziehbare Rationale.

Inhalation

Zu inhalativen Applikation von Interleukin-2 zur Behandlung von Lungenmetastasen bestehen umfangreiche Erfahrungen. Sie ist die zweithäufigste Anwendungsform für Proleukin in Deutschland und wird - regelhaft - überwiegend bei seltenen Erkrankungen, wie dem pulmonal metastasierte Nierenzellkarzinom und Melanom angewendet. Zur Zeit etwa 70 Veröffentlichungen beschreiben diese Applikationsform an mehreren hundert Patienten. Alle bestätigen die besonders gute Verträglichkeit. Im Journal of Clinical Oncology wurde 1999 eine prospektive Langzeitanalyse der Lebensqualität veröffentlicht. Effizienz im Sinne einer lokalen und systemischen Immunmodulation und Tumoransprechen Die Behandlung wurde vor mehr als 10 Jahren erstmals in Deutschland eingesetzt, heute wird sie im In- und Ausland durchgeführt. Die Wirksamkeit ist durch Studien belegt, die Therapie wird durch (Fach-) Stellungnahmen ( Deutsche Krebsgesellschaft, Tumorzentrum Hamburg, Ethikkommission Hamburg ) befürwortend beurteilt, ist seit 1996 Standardtherapie der Universität Hamburg. Die Behandlung wird an zahlreichen Universitätszentren und Spezialambulanzen durchgeführt. Die Stiftung Warentest erwähnt in ihrem "Handbuch Medikamente" die inhalative Anwendung zur Anregung der körpereigenen Abwehr durch Proleukin. Wesentlicher Vorteil ist die - für lokale Anwendungsverfahren typische - gute Verträglichkeit. Systemische Nebenwirkungen und Komplikationen treten (fast) gar nicht auf. Die Behandlung ist ambulant und vielfach unter Beibehaltung der sozialen Rolle (Berufstätigkeit, Familie) durchführbar.
Die inhalative Gabe nach den Kriterien 1-5 bewertet ist wirksam, hat eine weite Verbreitung, ist bestätigt durch verschiedene Forschergruppen, verbessert signifikant das Risiko zu Benefit Verhältnis der Patienten und hat eine nachvollziehbare Rationale.

Zusammenfassung

Interleukin-2 ist ambulant effektiv und gut verträglich einsetzbar durch die Modifikation der intravenösen Applikationsform zu subkutaner und lokaler Gabe. Die obengenannten Vorteile führen dazu, daß die intravenöse Applikation in Deutschland, insbesondere beim metastasierten Nierenzellkarzinom fast nicht mehr durchgeführt wird. Die intravenöse Gabe ist nebenwirkungsreicher und gefährlicher für den Patienten, die Behandlung ist kostenintensiv, insbesondere bei Auftreten schwerer Nebenwirkungen. Kostenanalysen sind nicht Gegenstand dieser Stellungnahme. Kostenargumente rücken bei teuren Therapien jedoch häufig in den Vordergrund, insbesondere bei Kostenträgern. Für die obengenannten Modifikationen spricht die bessere Verträglichkeit, die ambulante Durchführung, die geringe Komplikationsrate, sowie der mögliche Erhalt der sozialen Rolle. Ernstzunehmende Kostenanalysen gehen über die Auflistung von Medikamentenpreisen hinaus. Es ist festzustellen, daß die eingesetzten Medikamentenmengen pro Therapietag bei allen Applikationsvarianten entweder geringer oder etwa gleich groß sind, wie die in der Zulassung angegebenen 36 x 106 IU Proleukin.
Die subkutane und inhalative Interleukin-2 Gabe sind klinisch regelhaft durchgeführte Modifikationen mit nachvollziehbaren pathophysiologischem Hintergrund. Sie sind durch prospektive Studien in Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit gesichert. Die Deutsche Krebsgesellschaft stellte bereits 1997 fest, daß realistischerweise im Falle des metastasierten Nierenzellkarzinoms keine gegen einen Nullarm randomisierte Studie mehr verwirklicht werden kann, da ohnehin der überwiegende Teil der Patienten mit IL-2-haltigen Schemata behandelt wird und daher ein de-facto Therapiestandard existiert. Diese Feststellung ist zutreffend. Plazebokontrollierte Studien wurden bisher weder in den USA noch in Europa zur Zulassung von Interleukin-2 für metastasiertes Nierenzellkarzinom und Melanom gefordert. Die Entwicklungen in der Immuntherapie haben ohne jeden Zweifel in den letzten 10 Jahren weltweit zu den bedeutendsten Verbesserungen in der Tumortherapie beigetragen.

Unterzeichner der Stellungnahme 30. Juni 2000
Prof. Dr. Dr. med. Jens Atzpodien, Ärztl. Direktor Robert-Janker-Klinik Fachklinik für Tumorerkrankungen Bonn
Dr. med. Ursula Dietrich, Internistisch-Radiol. Praxis Spezialausrichtung Pulmologie Onkologie Rostock
Prof. Dr. med. Alexander Enk, Oberarzt Dermatologie Universitätsklinik Mainz
Priv. Doz. Dr. med. Axel Heidenreich, Oberarzt Urologie Phillips-Universität Marburg
Prof. Dr. med. Hans Heinzer, Oberarzt Urologie Universitätskrankenhaus Hamburg
Prof. Dr. Dr. med. H. Heynemann, Stellvertr. Klinikdirektor Urologie Martin-Luther-Universität Halle
Prof. Dr. med. Hartwig Huland, Klinikdirektor Urologie Universitätskrankenhaus Hamburg
Prof. Dr. Dr. med. Edith Huland, Leitung Tumorimmunologie, Urologie Universitätskrankenhaus Hamburg
Prof. Dr. med. Dieter Jocham, Klinikdirektor Urologie Universitätsklinik Lübeck
Priv. Doz. Dr. med. Hartmut Kirchner, Chefarzt Med. Klinik Hämatologie Onkologie Siloah Hannover
Priv. Doz. Dr. med. Dorothee Nashan, Oberärztin Dermatologie, Universitätsklinik Münster
Dr. med. Ralph Oberneder, Oberarzt Urologie Universitätsklinikum Großhadern München
Prof. Dr. med. Sigmund Pomer, Oberarzt Urologie Universitätskrankenhaus Heidelberg
Prof. Dr. med. Udo Rebmann, Chefarzt Urologie Anhaltische Diakonissenanstalt Dessau
Dr. med. Jan Roigas, Facharzt Urologie Universitätsklinikum Charite Berlin
Dr. med. Johannes Selbach, Facharzt Innere Medizin Hämatologie Onkologie Duisburg
Dr. med. Zoltan Varga, Oberarzt Urologie Phillips-Universität Marburg
Priv. Doz. Dr. med. Uwe Wagner, Stellvertr. Ärztl. Direktor, Universitätsfrauenklinik Tübingen